Lieber Matthias
Liebe Angehörige
Liebe Freunde der Verstorbenen
Verehrte Trauergemeinschaft
Wir haben uns
heute zusammengefunden, um Abschied von Claudia Kohl zu nehmen.
Claudia wurde am 14. Oktober 1973 in Borna bei Leipzig in die
Familie Löffler hinein geboren. Aufgewachsen ist sie jedoch im
nahe gelegenen Deutzen, wo sie später die Mittelschule besuchte
und eine gute Schülerin war. Manchmal litt sie darunter, ein
Einzelkind zu sein, denn so konzentrierte sich die Aufmerksamkeit
ihrer Eltern ganz auf sie allein. Pünktlichkeit war ein wichtiges
Element, das es minutengenau einzuhalten galt. Um Hundertstel
Sekunden ging es dann auch beim Sport. Claudia betrieb
Leichtathletik, beteiligte sich an nationalen Wettkämpfen der DDR,
bekam auch einige Medaillen überreicht und empfing noch die Gnade,
von Frau Honecker für ihre Erfolge die Hand geschüttelt zu
bekommen. Claudia bedeutete dies jedoch wenig. Denn zur Politik
hatte sie überhaupt keinen Bezug. Und viel lieber wäre ihr
gewesen, Anerkennung durch Ihre Mutter zu erfahren. Denn Claudia
hatte - ob tatsächlich oder nur als Eindruck - das Gefühl, den
Anforderungen ihrer Mutter, die an der selben Schule, die Claudia
besuchte, als Lehrerin unterrichtete, nie gerecht werden zu
können. Und darunter litt sie sehr.
Und dies um so
mehr, als sie nicht gerade über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein
verfügte, und sich in dem Bemühen, es ihren Eltern recht machen zu
wollen, vielleicht gelegentlich auch überforderte.
Es allen recht
machen zu wollen, aufkeimenden Ärger lieber hinunter zu schlucken,
trotz aller Verletzungen sich immer wieder auf den Anderen
einzulassen, immer bereit zu sein, eine ausgestreckte Hand
anzunehmen - das war denn auch einer der ausgeprägtesten
Wesenseigenschaften der erwachsenen Claudia.
In jeder Phase
ihrer Kindheit und Jugend gab es jedoch auch einen Hort, an dem
Claudia einfach nur Liebe und wärmende Zuneigung erhielt, die
nichts forderte. Und diesen Hort fand sie bei ihren Großeltern.
Nach dem Tode des Großvaters war es besonderes die Großmutter, die
Claudias empfindsamer Seele Trost spendete und auch später, als
Claudia an der Schwelle des Todes stand, immer für sie da war, sie
pflegte und alles tat, was in ihren eigenen schwindenden Kräften
stand, um Claudia beizustehen.
Eine andere,
wesentliche Eigenschaft Claudias, war ihre unbedingte
Hilfsbereitschaft. Die hat sich schon in ihrer frühen Jugend
gezeigt, aber es war mehr als nur bloße Hilfsbereitschaft, wenn
Claudia bei ihren Nachbarn im Hause als Kindermädchen einsprang.
Denn mit Euch, liebe Sylvia, liebe Diana, war sie gerne zusammen,
und ganz sicher erinnert Ihr Euch an so manch schöne, fröhliche
und kurzweilige Stunde mit ihr. Über die Zeit hinweg entstand
zwischen Euch und Claudia eine sehr tiefe und unverbrüchliche
Freundschaft.
Und Euch zu
sehen, auch in der Zeit, als es ihr so schlecht ging, das machte
sie sehr glücklich.
Aber noch war
Claudia selbst ein junges Mädchen, das nun in Borna in der
Ausbildung zur Röntgenassistentin stand. Das war in jener Zeit, in
der sich die politische Landschaft in Europa total veränderte. Es
kam der Tag des Mauerfalls. Und kaum hatte Claudia ihre Ausbildung
erfolgreich beendet, bewarb sie sich um einen Job im Westen
Deutschlands. Zunächst arbeitete sie als Sprechstundenhilfe bei
einer Ärztin in Altdorf, wechselte dann aber an das
Martha-Maria-Krankenhaus nach Nürnberg, wo sie wieder als
Röntgenassistentin tätig werden konnte.
Wie sehr Claudia
ihren Beruf liebte, wie stark sie Anteil am Schicksal derer nahm,
deren Diagnose und Krankheitsverlauf sie am CT-Bild erkennen
konnte, das sollten Sie, lieber Matthias, bald feststellen können.
Claudia wurde nie
müde, von ihrer Arbeit zu berichten. Es war das beherrschende
Thema Ihrer Unterhaltungen.
"Ach, was ich Dir
noch sagen wollte..." so begann ein neuer Abschnitt aus Claudias
Erzählungen über ihre Patienten, obgleich sie doch gerade erst
einen ausführlichen Bericht über all die Eindrücke abgeliefert
hatte, die sie so sehr beschäftigten. Tag und Nacht musste Claudia
an die Menschen denken, deren oft tragisches Schicksal sie anhand
der Röntgenbilder voraussehen konnte. Claudia war einen
einfühlsame, mitfühlende, teilnahmsvolle Seele, eine, die Mitleid
empfand und die die Schicksale anderer einfach nicht kalt und
unberührt ließ.
Sie, lieber
Matthias, verstanden, dass Claudia jemand brauchte, mit dem sie
über all das reden konnte, was sie innerlich bewegte.
Und auch das,
Claudias tief empfundenes Mitleid, war ein Mosaikstein dessen, was
Claudia so liebenswert für sie machte.
Doch wie hatten
sie sich überhaupt gefunden?
Ihr Bruder,
lieber Matthias, war damals mit einer jungen Frau aus dem Osten
befreundet. Und diese wiederum war eine Freundin Claudias. Und
irgendwann traf man dann halt zusammen. So einfach können manchmal
die Wege des Schicksals sein. Sie, lieber Matthias, fanden Claudia
gleich sehr sympathisch, was ganz auf Gegenseitigkeit beruhte.
Doch mehr war es zunächst nicht. Denn Claudia entsprach, rein
äußerlich gesehen, zunächst überhaupt nicht der Frau Ihrer Träume.
Aber was war es
nur, dass Sie doch nicht voneinander lassen konnten? Dass da ganz
tief innen plötzlich ganz andere Gefühle entstanden? Die dann auch
noch erwidert wurden?
Vielleicht war es
das, dass man Claudia einfach gern haben musste. Denn sie strahlte
etwas aus, das man als liebevoll, noch viel mehr aber als eine Art
universelle Menschenliebe bezeichnen könnte. Für sie gab es keine
Hautfarben, keine Rassen, keine Vorurteile, wem auch immer
gegenüber.
Immer versuchte
sie nur das Gute im Menschen zu sehen, auch dort, wo sie in ihrer
Hilfsbereitschaft manchmal ausgenutzt wurde, auch dort, wo man
sie, vielleicht ganz unbewusst, tief verletzt hat.
"Leben und leben
lassen," so in etwa könnte man Claudias absolut tolerante
Einstellung anderen und ihren Lebensstilen gegenüber bezeichnen.
Sie war ein äußerst friedfertiger Mensch, sehr harmoniebewusst,
und es wäre schwer gefallen, einen Streit mit ihr anzufangen. Denn
einem Streit ging Claudia lieber aus dem Wege, deshalb mochte sie
es auch nicht, in eine Diskussion, worüber auch immer, verwickelt
zu werden. Und selbst im Spaß hätte Claudia niemand verletzen
möchten. Jemand weh zu tun, das wäre für sie selbst noch schlimmer
gewesen, als eigene Erniedrigungen ertragen zu müssen.
Vor ihr ging
immer etwas anrührendes, liebevolles aus. Ihre ruhige
Zurückhaltung Fremden gegenüber, ihre menschliche
Selbstbescheidenheit, verbunden mit ihrer unbedingten
Hilfsbereitschaft, taten ein Übriges, dass jedermann sie mochte
und schätzte.
Bei ihr gingen
immer die anderen vor. Wenn ein Anruf von der Klinik kam, dann
sagte sie selbst eine geplante Unternehmung mit Ihnen, lieber
Matthias, ab, um den Kollegen und Kolleginnen beizustehen. Wenn
Ihre Eltern, lieber Matthias, in Urlaub fuhren, dann war es für
Claudia selbstverständlich, abends den Garten zu gießen und im
Haus nach dem Rechten zu sehen. Und wie oft war sie damals, als
sie die alte Fabrikhalle für Ihre geplante Musikproduktion
umbauten, nach Aalen gekommen, um zu mörteln, zu malern und zu
tapezieren.
Und das alles
machte sie mit viel Freude. Inzwischen war die anfängliche
Sympathie füreinander zu etwas ganz anderem geworden. Und 1997
haben Sie, lieber Matthias und Claudia, Ihre stetig gewachsene
innere Verbundenheit und große Liebe mit dem Bund der Ehe
besiegelt.
Eine Liebe, die
bald viele Prüfungen zu bestehen hatte, und dabei noch sehr viel
tiefer wurde.
Aber noch
schwebte Hoffnung und Zuversicht über Ihrem jungen Glück.
Auch wenn Claudia
sich Fremden gegenüber erst mal abwartend verhielt, so war sie
doch ein sehr geselliger Mensch. Wer ihr Vertrauen einmal gewonnen
hatte, mit dem ging sie Pferde stehlen. Oder irgend einen Blödsinn
mitmachen. Denn das war die andere Seite an Claudia, wieder ein
Mosaikstein, der sie nicht nur für Sie, lieber Matthias, so
liebenswert machte. Und das war Claudias fröhlicher, ja manchmal
geradezu ausgelassener Humor. Nein, im Mittelpunkt zu stehen,
dafür war Claudia viel zu bescheiden. Aber sie war mitten drin im
Geschehen, und mit ihrem Lachen konnte sie alle anderen anstecken
und im Nu gute Laune verbreiten.
Ja, Claudia war
neben aller Ernsthaftigkeit in ihrem Wesen auch eine Frau, die
gerne lachte. Am liebsten zusammen mit den ehemaligen
Schulkameradinnen und Schulkameraden, mit den Arbeitskolleginnen
des Kreiskrankenhauses Heidenheim, in dem Claudia jetzt arbeitete,
mit gemeinsamen Freunden und Bekannten. Claudia genoss an Ihrer
Seite, lieber Matthias, die Ausflüge an den Wochenenden, die sie
kreuz und quer durch ganz Deutschland führten und die fast
regelmäßig in einem Besuch, einer Party oder Familienfeier bei
gemeinsamen Freunden endeten. Und die genoss Claudia um so mehr,
als sie sich ja kaum einmal einen richtigen Urlaub leisten
konnten. Claudia machte aber nicht nur gern Besuche, sie lud auch
gern Gäste ein, verwöhnte diese mit Selbstgekochtem oder kleinen
Geschenken und sorgte für eine nette, anregende Unterhaltung, bei
der viel gelacht wurde.
Claudia wusste
dabei auch viel Lustiges aus dem Alltag zu erzählen, und wer kennt
nicht ihre humorvollen Sprüche und ihre Ironie, mit der sie über
sich selbst lachen konnte. Über ihre Schusseligkeit etwa, oder
darüber, dass sie gelegentlich etwas vergesslich war.
"Ich bin schon so
vergesslich wie mein Opa," konnte Claudia in Anspielung auf ihren
Großvater sagen, der mittlerweile an Alzheimer erkrankt war.
Sie nahm ihre
kleinen menschlichen Unzulänglichkeiten humorvoll auf die Schippe
- nichts ahnend, dass dies möglicherweise schon die Vorboten der
Erkrankung waren, die bald über sie hereinbrechen sollte. Aber
vielleicht ahnte sie sehr viel mehr, mit einer Art innerem
Bewusstsein, als sie es sich selbst eingestehen und nach außen hin
offenbaren konnte.
War es wirklich
ein Zufall, dass Claudia drei Monate, bevor sie diese schreckliche
Diagnose ihrer eigenen Krankheit erhielt, aus heiterem Himmel
plötzlich fragte, ob Sie, lieber Matthias, sie auch pflegen
würden, wenn sie einmal so krank sei wie jene Patientin, über
deren Schicksal sie eben noch berichtet hatte?
Bei Blaudia hatte
es schleichend angefangen. Da waren die Konzentrationsstörungen,
ein Taubheitsgefühl an der Hand, das sie schreiben ließ wie ein
Schulmädchen in der ersten Klasse. Und dann der Sturz die Treppe
hinunter. Nein, krankgeschrieben werden wollte Claudia nicht, da
müssten doch die Kolleginnen ihre Arbeit mitmachen.
Und doch nützte
alles nichts. Es war im Dezember des Jahres 2000, als Claudia ins
Krankenhaus nach Günzburg eingeliefert und eingehend untersucht
wurde. Das Bild von der Computertomographie hat man ihr
vorenthalten - Claudia war schließlich vom Fach und hätte sofort
Bescheid gewusst. Man drückte sich feige davor, ihr die Wahrheit
zu sagen - und ihr damit die Chance zu geben, sofort darauf zu
reagieren. Erst als sie zu Hause war, rief man sie an - um ihr
Stückchen für Stückchen mitzuteilen, was mit ihr los war. Keine
professionelle Hilfe war zu Hand, um die erste Verzweiflung und
den Schock zu lindern, mit dem Claudia reagierte. Der Schock saß
so tief, dass sie ein halbes Jahr lang unfähig war, jemand
anzurufen. Nicht einmal ihre geliebte Oma. Im Januar 2001 gab es
dann die nächsten Lähmungserscheinungen und von da an saß Claudia
im Rollstuhl. Was dann folgte war eine wahre Odyssee, lieber
Matthias. Obgleich es den finanziellen Ruin bedeutete, haben sie
Ihre Arbeit eingestellt, um nur noch für Claudia da zu sein, ihr
Mut und Hoffnung zu machen. Surften tage- und nächtelang durchs
Internet, um Antworten auf Ihre drängenden Fragen zu finden. Ihre
Eltern unterstützten sie in dieser Zeit nach Kräften, kümmerten
sich ebenfalls rührend um Claudia, und es war trotz all dieser
Umstände eine schöne Erfahrung, zu sehen, dass unter den vielen
Bekannten viele wirklich richtige Freunde waren, auf die sie sich
jetzt verlassen durften. Ja, in dieser schweren Zeit kamen sogar
neue Freunde hinzu. Und endlich hatten Sie gefunden, was sie
suchten, jenen Arzt in Berlin, der eine Koryphäe auf dem Gebiet
des Hirntumors war, und der sie noch in der gleichen Woche einlud,
mit Claudia nach Berlin in seine Klinik zu kommen.
Was in jener Zeit
und danach alles geschah, das auf und ab der Gefühle, Besserungen,
Niederschläge von Claudias Gesundheitszustand, all die Operationen
und Behandlungen, darüber könnten Sie, lieber Matthias, heute ein
Buch schreiben. Und an dieser Stelle näher darauf einzugehen,
würde den heutigen Rahmen sprengen. Aber in Ihrem Namen darf ich
Herrn Dr. Vogel in Berlin und seiner Klinik einen ganz herzlichen
Dank aussprechen. Nicht nur, dass er Claudia mehr als ein Jahr
über den kritischen Punkt brachte. Er gab ihr neuen Lebensmut und
neue Zuversicht. Nicht nur, dass die Klinik mehrere der sündhaft
teuren Medikamente umsonst stellte, ebenso, wie das Einzelzimmer,
das Sie sich gar nicht hätten leisten können. Durch Dr. Vogel war
es Claudia sogar vergönnt, wieder auf Kurzreisen zu gehen und
Freunde wieder zu treffen. Und wieder zu sprechen und zu lachen,
was seine Zeitlang auch nicht möglich gewesen war. Aber es gab
auch immer wieder Rückschläge, die Claudia traurig machten,
besonders der Umstand, dass es offenbar nicht möglich war, dass
ihre Mutter häufiger zu Besuch kommen konnte.
Ende August des
letzten Jahres hatten Sie, lieber Matthias und Claudia noch einmal
eine schöne, gemeinsame Zeit, in der es Claudia relativ gut ging,
und zwar in der Reha, in der Claudia zwar nur abgestellt wurde,
aber Sie beide konnten daneben all die schönen Städtchen am
Bodensee und auch dort wohnende Freundinnen besuchen. Wieder schön
essen gehen, wie früher. Für Sie beide war es eine ganz intensiv
erlebte Zeit, eine Zeit, die sie noch näher zusammen brachte, als
dies sowieso schon der Fall war. Aber noch in Allensbach kam der
dramatische Rückschlag, der damit endete, dass Claudia mit dem
Rettungshubschrauber in die Klinik gebracht werden musste. Seit 1.
Dezember war Claudia nun wieder in der Klinik in Berlin. Sie,
lieber Matthias, konnten nur deshalb bei Claudia sein, weil
Freunde, die in der Nähe Berlins wohnten, Ihnen dies möglich
machten. Claudias Großmutter beteiligte sich persönlich mit an der
umfangreichen Pflege Claudias, die nun teilweise gelähmt war und
immer mehr unfähig wurde zu sprechen und sich mitzuteilen. Nur
ihre Augen sagten Danke. Danke für Eure Freundschaft, Danke für
Eure Hilfe. Danke für Eure Liebe, Danke für alles. Als nun Anfang
Februar der Tod zu ihr kam, da kam er nicht nur als Feind, sondern
auch als Freund. Um sie von ihren Leiden zu erlösen.
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Lieber Matthias
Liebe Angehörige
Liebe Freundinnen und Freunde von Claudia
Sie trauern. Die
Trauer ist eine tiefe Empfindung, und auch die Trauer hat ihre
ganz eigene Zeit. Das Trauererleben mit all seinen
widersprüchlichen Empfindungen ist dabei individuell. Und manchmal
erleben wir, dass unsere Umwelt nicht bereit ist, das breit
gefächerte Spektrum von Emotionen zu ertragen, das unsere Trauer
begleitet. Nicht ausgelebte Trauer macht uns jedoch krank. Und so
müssen wir die Trauer für uns annehmen, sie in uns aufnehmen und
sie durchleiden.
Aber - wir dürfen
auch nicht in der Trauer verharren. Denn wir müssen lernen
loszulassen. Im realen Leben, wie auch in unseren Empfindungen und
Gefühlen. Schaffen wir dies nicht, kann das Gefühl des Verlustes
und der Trauer so stark und übermächtig werden, dass es uns von
unseren Mitmenschen isoliert und uns selbst in eine
lebensbedrohliche Situation bringt.
So ist
Trauerarbeit auch eine Arbeit an uns selbst. Und sie ist
gleichzeitig eine Chance, nach den Grundlagen und dem Sinn unseres
eigenen, weiteren Lebens zu forschen. Wir sollten dabei versuchen,
das Leben als Geschenk zu sehen, von der schönen Seite her
betrachten, auch wenn wir jetzt das Bedrohliche, Schmerzliche und
Leidvolle erfahren.
Enttäuschungen,
Schmerz, Leid und Trauer erlebt beinahe jeder Mensch.
Konzentrieren wir uns aber nur auf diese eine Seite der
Wirklichkeit, dann laufen wir Gefahr, uns in unseren Gefühlen zu
verlieren, ja, unser Menschsein aufs Spiel zu setzen.
Nein, die
Wirklichkeit besteht nicht nur aus dieser einen Seite. Es gilt
daher, die andere, die helle Seite des Lebens, neu zu entdecken.
Denn der Verlust eines nahen Angehörigen ist nicht das Ende in
Verlassenheit und Einsamkeit. Sondern der Anfang einer neuen
Lebensform, in der wir all die Erfahrungen unseres bisherigen
Lebens mit einfließen lassen können. Die geliebte und geschätzte
Verstorbene darf dabei auch immer einen Platz in unseren Herzen
haben. Auch dann, lieber Matthias, auch wenn dies gerade heute
ganz unvorstellbar erscheint, auch dann, wenn wir uns wieder einer
neuen Liebe öffnen sollten. Aber vielleicht gelingt es uns, gerade
durch diese leidvolle Erfahrung, diesem, unserem eigenen Leben,
noch mehr Qualität zu geben.
Nach allem, was
ich über das Leben von Claudia Kohl erfahren durfte, bin ich mir
über eines ganz sicher:
Sie hätte nicht
gewollt, dass ihr Tod Anlass für Sie sein sollte, sich jetzt nur
noch schmerzvollen Erinnerungen hinzugeben, sich dem Leben zu
verschließen und sich jeglicher Freude zu versagen.
Denn ihr ganzes
Sinnen und Trachten war stets auf das Wohlergehen derer
ausgerichtet, mit denen sie einen Abschnitt ihres Lebens teilte.
Hermann Kant, der
große Schriftsteller und Philosoph hat einmal formuliert:
Was du für dieses
Erdenleben tun sollst, kannst du begreifen, was du für die
Ewigkeit tun sollst, nicht; und so kann denn auch keine Gottheit
mehr von dir verlangen, als der Erfüllung deiner Bestimmung auf
dieser Erde. Schränke dich also ganz auf diese kurze Zeitspanne
ein. Kümmere dich nicht um deine Bestimmung nach deinem Tode, weil
du darüber leicht deine Bestimmung auf dieser Erde vernachlässigen
könntest.
Misst man Claudia
Kohls Leben an diesen Worten, so ist sie ihrer Bestimmung auf
dieser Erde stets nachgekommen. Mit all dem, was in ihren Kräften
stand. Mit all dem, was ihr eigenes Leben ausgemacht hat, mit all
ihrer fürsorglichen Liebe und mit all dem, wie sie sich selbst in
das Zeitgeschehen und in ihre Verantwortung darin eingebunden hat.
Und so denke ich,
hat Claudia Ihnen allen durch ihre eigene Lebensweise auch ein
Vermächtnis hinterlassen:
Dem Vermächtnis,
dass sie sich dem Leben weiter zuwenden und diesem Leben weiter
Sinn, Freude und Erfüllung geben.
Denn dies ist
zugleich auch die wahre Botschaft des Todes: Es ist sinnvoll zu
leben und vor allem - stets das Beste daraus zu machen.
Doch was bleibt
nun von Claudia? Gibt es überhaupt einen Trost für uns als
Atheisten, die wir nicht an ein imaginäres Jenseits glauben?
Verehrte
Trauergemeinschaft, lassen Sie mich diese Frage mit einem
Aphorismus von Kriemhilde Klie-Riedel beantworten:
Von uns selbst
hängt unsere Unsterblichkeit ab; nicht von der sinnlichen Liebe,
die wir erregten, nicht von der Bewunderung, die etwaigen
Leistungen gespendet wird, sondern von dem inneren Leben, das
unser Hauch anfacht, von dem erwärmenden Feuer, das von uns
ausstrahlt. Das Gefühl, in die Seele eines anderen aufgenommen zu
sein und in ihr zu wirken, das ist des Lebens höchste Seligkeit.
In diesem Sinne
ist Claudia Kohl ganz sicher in viele Seelen aufgenommen worden
und wird in vielen Seelen auf immer präsent bleiben.
Und mit diesem
Gedanken wollen wir nach dem folgenden Musikstück Claudias Urne
beisetzen.
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