Die Abschiedsrede für Claudia

 


 

Abschied

von

 

Claudia Kohl

 

 

Freitag, 07. März 2003

Heidenheim/Schnaitheim

 

 

von Rolf Schäfer, Pfarrer-Hiller-Str.1, 71686 Remseck-Neckargröningen, Tel./Fax:07146/20748
Mitglied in der AG weltliche Bestattungen und Trauerkultur in den Freidenker-Verbänden Deutschlands

 

Nichts ist ein Bleibendes, alles ein Treibendes.
Verwehendes, Vergehendes auf dieser Welt.
Was dir entglitten, was du gelitten
in Lust und in Glück, kehrt niemals zurück.

Wie zertrümmerte Sterne in kosmischer Ferne
sprüh´n und verglüh´n auf leuchtender Spur
dies eine bleibt nur,
dies Leuchten im Innern, dies schöne Erinnern,
das nie entschwebt, solange man lebt.

 

Musikalische Umrahmung: Herbert Grönemeyer "Der Weg"

Lieber Matthias
Liebe Angehörige
Liebe Freunde der Verstorbenen
Verehrte Trauergemeinschaft

Wir haben uns heute zusammengefunden, um Abschied von Claudia Kohl zu nehmen.
Claudia wurde am 14. Oktober 1973 in Borna bei Leipzig in die Familie Löffler hinein geboren. Aufgewachsen ist sie jedoch im nahe gelegenen Deutzen, wo sie später die Mittelschule besuchte und eine gute Schülerin war. Manchmal litt sie darunter, ein Einzelkind zu sein, denn so konzentrierte sich die Aufmerksamkeit ihrer Eltern ganz auf sie allein. Pünktlichkeit war ein wichtiges Element, das es minutengenau einzuhalten galt. Um Hundertstel Sekunden ging es dann auch beim Sport. Claudia betrieb Leichtathletik, beteiligte sich an nationalen Wettkämpfen der DDR, bekam auch einige Medaillen überreicht und empfing noch die Gnade, von Frau Honecker für ihre Erfolge die Hand geschüttelt zu bekommen. Claudia bedeutete dies jedoch wenig. Denn zur Politik hatte sie überhaupt keinen Bezug. Und viel lieber wäre ihr gewesen, Anerkennung durch Ihre Mutter zu erfahren. Denn Claudia hatte - ob tatsächlich oder nur als Eindruck - das Gefühl, den Anforderungen ihrer Mutter, die an der selben Schule, die Claudia besuchte, als Lehrerin unterrichtete, nie gerecht werden zu können. Und darunter litt sie sehr.

Und dies um so mehr, als sie nicht gerade über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügte, und sich in dem Bemühen, es ihren Eltern recht machen zu wollen, vielleicht gelegentlich auch überforderte.

Es allen recht machen zu wollen, aufkeimenden Ärger lieber hinunter zu schlucken, trotz aller Verletzungen sich immer wieder auf den Anderen einzulassen, immer bereit zu sein, eine ausgestreckte Hand anzunehmen - das war denn auch einer der ausgeprägtesten Wesenseigenschaften der erwachsenen Claudia.

In jeder Phase ihrer Kindheit und Jugend gab es jedoch auch einen Hort, an dem Claudia einfach nur Liebe und wärmende Zuneigung erhielt, die nichts forderte. Und diesen Hort fand sie bei ihren Großeltern. Nach dem Tode des Großvaters war es besonderes die Großmutter, die Claudias empfindsamer Seele Trost spendete und auch später, als Claudia an der Schwelle des Todes stand, immer für sie da war, sie pflegte und alles tat, was in ihren eigenen schwindenden Kräften stand, um Claudia beizustehen.

Eine andere, wesentliche Eigenschaft Claudias, war ihre unbedingte Hilfsbereitschaft. Die hat sich schon in ihrer frühen Jugend gezeigt, aber es war mehr als nur bloße Hilfsbereitschaft, wenn Claudia bei ihren Nachbarn im Hause als Kindermädchen einsprang. Denn mit Euch, liebe Sylvia, liebe Diana, war sie gerne zusammen, und ganz sicher erinnert Ihr Euch an so manch schöne, fröhliche und kurzweilige Stunde mit ihr. Über die Zeit hinweg entstand zwischen Euch und Claudia eine sehr tiefe und unverbrüchliche Freundschaft.

Und Euch zu sehen, auch in der Zeit, als es ihr so schlecht ging, das machte sie sehr glücklich.

Aber noch war Claudia selbst ein junges Mädchen, das nun in Borna in der Ausbildung zur Röntgenassistentin stand. Das war in jener Zeit, in der sich die politische Landschaft in Europa total veränderte. Es kam der Tag des Mauerfalls. Und kaum hatte Claudia ihre Ausbildung erfolgreich beendet, bewarb sie sich um einen Job im Westen Deutschlands. Zunächst arbeitete sie als Sprechstundenhilfe bei einer Ärztin in Altdorf, wechselte dann aber an das Martha-Maria-Krankenhaus nach Nürnberg, wo sie wieder als Röntgenassistentin tätig werden konnte.

Wie sehr Claudia ihren Beruf liebte, wie stark sie Anteil am Schicksal derer nahm, deren Diagnose und Krankheitsverlauf sie am CT-Bild erkennen konnte, das sollten Sie, lieber Matthias, bald feststellen können.

Claudia wurde nie müde, von ihrer Arbeit zu berichten. Es war das beherrschende Thema Ihrer Unterhaltungen.

"Ach, was ich Dir noch sagen wollte..." so begann ein neuer Abschnitt aus Claudias Erzählungen über ihre Patienten, obgleich sie doch gerade erst einen ausführlichen Bericht über all die Eindrücke abgeliefert hatte, die sie so sehr beschäftigten. Tag und Nacht musste Claudia an die Menschen denken, deren oft tragisches Schicksal sie anhand der Röntgenbilder voraussehen konnte. Claudia war einen einfühlsame, mitfühlende, teilnahmsvolle Seele, eine, die Mitleid empfand und die die Schicksale anderer einfach nicht kalt und unberührt ließ.

Sie, lieber Matthias, verstanden, dass Claudia jemand brauchte, mit dem sie über all das reden konnte, was sie innerlich bewegte.

Und auch das, Claudias tief empfundenes Mitleid, war ein Mosaikstein dessen, was Claudia so liebenswert für sie machte.

Doch wie hatten sie sich überhaupt gefunden?

Ihr Bruder, lieber Matthias, war damals mit einer jungen Frau aus dem Osten befreundet. Und diese wiederum war eine Freundin Claudias. Und irgendwann traf man dann halt zusammen. So einfach können manchmal die Wege des Schicksals sein. Sie, lieber Matthias, fanden Claudia gleich sehr sympathisch, was ganz auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch mehr war es zunächst nicht. Denn Claudia entsprach, rein äußerlich gesehen, zunächst überhaupt nicht der Frau Ihrer Träume.

Aber was war es nur, dass Sie doch nicht voneinander lassen konnten? Dass da ganz tief innen plötzlich ganz andere Gefühle entstanden? Die dann auch noch erwidert wurden?

Vielleicht war es das, dass man Claudia einfach gern haben musste. Denn sie strahlte etwas aus, das man als liebevoll, noch viel mehr aber als eine Art universelle Menschenliebe bezeichnen könnte. Für sie gab es keine Hautfarben, keine Rassen, keine Vorurteile, wem auch immer gegenüber.

Immer versuchte sie nur das Gute im Menschen zu sehen, auch dort, wo sie in ihrer Hilfsbereitschaft manchmal ausgenutzt wurde, auch dort, wo man sie, vielleicht ganz unbewusst, tief verletzt hat.

"Leben und leben lassen," so in etwa könnte man Claudias absolut tolerante Einstellung anderen und ihren Lebensstilen gegenüber bezeichnen. Sie war ein äußerst friedfertiger Mensch, sehr harmoniebewusst, und es wäre schwer gefallen, einen Streit mit ihr anzufangen. Denn einem Streit ging Claudia lieber aus dem Wege, deshalb mochte sie es auch nicht, in eine Diskussion, worüber auch immer, verwickelt zu werden. Und selbst im Spaß hätte Claudia niemand verletzen möchten. Jemand weh zu tun, das wäre für sie selbst noch schlimmer gewesen, als eigene Erniedrigungen ertragen zu müssen.

Vor ihr ging immer etwas anrührendes, liebevolles aus. Ihre ruhige Zurückhaltung Fremden gegenüber, ihre menschliche Selbstbescheidenheit, verbunden mit ihrer unbedingten Hilfsbereitschaft, taten ein Übriges, dass jedermann sie mochte und schätzte.

Bei ihr gingen immer die anderen vor. Wenn ein Anruf von der Klinik kam, dann sagte sie selbst eine geplante Unternehmung mit Ihnen, lieber Matthias, ab, um den Kollegen und Kolleginnen beizustehen. Wenn Ihre Eltern, lieber Matthias, in Urlaub fuhren, dann war es für Claudia selbstverständlich, abends den Garten zu gießen und im Haus nach dem Rechten zu sehen. Und wie oft war sie damals, als sie die alte Fabrikhalle für Ihre geplante Musikproduktion umbauten, nach Aalen gekommen, um zu mörteln, zu malern und zu tapezieren.

Und das alles machte sie mit viel Freude. Inzwischen war die anfängliche Sympathie füreinander zu etwas ganz anderem geworden. Und 1997 haben Sie, lieber Matthias und Claudia, Ihre stetig gewachsene innere Verbundenheit und große Liebe mit dem Bund der Ehe besiegelt.

Eine Liebe, die bald viele Prüfungen zu bestehen hatte, und dabei noch sehr viel tiefer wurde.

Aber noch schwebte Hoffnung und Zuversicht über Ihrem jungen Glück.

Auch wenn Claudia sich Fremden gegenüber erst mal abwartend verhielt, so war sie doch ein sehr geselliger Mensch. Wer ihr Vertrauen einmal gewonnen hatte, mit dem ging sie Pferde stehlen. Oder irgend einen Blödsinn mitmachen. Denn das war die andere Seite an Claudia, wieder ein Mosaikstein, der sie nicht nur für Sie, lieber Matthias, so liebenswert machte. Und das war Claudias fröhlicher, ja manchmal geradezu ausgelassener Humor. Nein, im Mittelpunkt zu stehen, dafür war Claudia viel zu bescheiden. Aber sie war mitten drin im Geschehen, und mit ihrem Lachen konnte sie alle anderen anstecken und im Nu gute Laune verbreiten.

Ja, Claudia war neben aller Ernsthaftigkeit in ihrem Wesen auch eine Frau, die gerne lachte. Am liebsten zusammen mit den ehemaligen Schulkameradinnen und Schulkameraden, mit den Arbeitskolleginnen des Kreiskrankenhauses Heidenheim, in dem Claudia jetzt arbeitete, mit gemeinsamen Freunden und Bekannten. Claudia genoss an Ihrer Seite, lieber Matthias, die Ausflüge an den Wochenenden, die sie kreuz und quer durch ganz Deutschland führten und die fast regelmäßig in einem Besuch, einer Party oder Familienfeier bei gemeinsamen Freunden endeten. Und die genoss Claudia um so mehr, als sie sich ja kaum einmal einen richtigen Urlaub leisten konnten. Claudia machte aber nicht nur gern Besuche, sie lud auch gern Gäste ein, verwöhnte diese mit Selbstgekochtem oder kleinen Geschenken und sorgte für eine nette, anregende Unterhaltung, bei der viel gelacht wurde.

Claudia wusste dabei auch viel Lustiges aus dem Alltag zu erzählen, und wer kennt nicht ihre humorvollen Sprüche und ihre Ironie, mit der sie über sich selbst lachen konnte. Über ihre Schusseligkeit etwa, oder darüber, dass sie gelegentlich etwas vergesslich war.

"Ich bin schon so vergesslich wie mein Opa," konnte Claudia in Anspielung auf ihren Großvater sagen, der mittlerweile an Alzheimer erkrankt war.

Sie nahm ihre kleinen menschlichen Unzulänglichkeiten humorvoll auf die Schippe - nichts ahnend, dass dies möglicherweise schon die Vorboten der Erkrankung waren, die bald über sie hereinbrechen sollte. Aber vielleicht ahnte sie sehr viel mehr, mit einer Art innerem Bewusstsein, als sie es sich selbst eingestehen und nach außen hin offenbaren konnte.

War es wirklich ein Zufall, dass Claudia drei Monate, bevor sie diese schreckliche Diagnose ihrer eigenen Krankheit erhielt, aus heiterem Himmel plötzlich fragte, ob Sie, lieber Matthias, sie auch pflegen würden, wenn sie einmal so krank sei wie jene Patientin, über deren Schicksal sie eben noch berichtet hatte?

Bei Blaudia hatte es schleichend angefangen. Da waren die Konzentrationsstörungen, ein Taubheitsgefühl an der Hand, das sie schreiben ließ wie ein Schulmädchen in der ersten Klasse. Und dann der Sturz die Treppe hinunter. Nein, krankgeschrieben werden wollte Claudia nicht, da müssten doch die Kolleginnen ihre Arbeit mitmachen.

Und doch nützte alles nichts. Es war im Dezember des Jahres 2000, als Claudia ins Krankenhaus nach Günzburg eingeliefert und eingehend untersucht wurde. Das Bild von der Computertomographie hat man ihr vorenthalten - Claudia war schließlich vom Fach und hätte sofort Bescheid gewusst. Man drückte sich feige davor, ihr die Wahrheit zu sagen - und ihr damit die Chance zu geben, sofort darauf zu reagieren. Erst als sie zu Hause war, rief man sie an - um ihr Stückchen für Stückchen mitzuteilen, was mit ihr los war. Keine professionelle Hilfe war zu Hand, um die erste Verzweiflung und den Schock zu lindern, mit dem Claudia reagierte. Der Schock saß so tief, dass sie ein halbes Jahr lang unfähig war, jemand anzurufen. Nicht einmal ihre geliebte Oma. Im Januar 2001 gab es dann die nächsten Lähmungserscheinungen und von da an saß Claudia im Rollstuhl. Was dann folgte war eine wahre Odyssee, lieber Matthias. Obgleich es den finanziellen Ruin bedeutete, haben sie Ihre Arbeit eingestellt, um nur noch für Claudia da zu sein, ihr Mut und Hoffnung zu machen. Surften tage- und nächtelang durchs Internet, um Antworten auf Ihre drängenden Fragen zu finden. Ihre Eltern unterstützten sie in dieser Zeit nach Kräften, kümmerten sich ebenfalls rührend um Claudia, und es war trotz all dieser Umstände eine schöne Erfahrung, zu sehen, dass unter den vielen Bekannten viele wirklich richtige Freunde waren, auf die sie sich jetzt verlassen durften. Ja, in dieser schweren Zeit kamen sogar neue Freunde hinzu. Und endlich hatten Sie gefunden, was sie suchten, jenen Arzt in Berlin, der eine Koryphäe auf dem Gebiet des Hirntumors war, und der sie noch in der gleichen Woche einlud, mit Claudia nach Berlin in seine Klinik zu kommen.

Was in jener Zeit und danach alles geschah, das auf und ab der Gefühle, Besserungen, Niederschläge von Claudias Gesundheitszustand, all die Operationen und Behandlungen, darüber könnten Sie, lieber Matthias, heute ein Buch schreiben. Und an dieser Stelle näher darauf einzugehen, würde den heutigen Rahmen sprengen. Aber in Ihrem Namen darf ich Herrn Dr. Vogel in Berlin und seiner Klinik einen ganz herzlichen Dank aussprechen. Nicht nur, dass er Claudia mehr als ein Jahr über den kritischen Punkt brachte. Er gab ihr neuen Lebensmut und neue Zuversicht. Nicht nur, dass die Klinik mehrere der sündhaft teuren Medikamente umsonst stellte, ebenso, wie das Einzelzimmer, das Sie sich gar nicht hätten leisten können. Durch Dr. Vogel war es Claudia sogar vergönnt, wieder auf Kurzreisen zu gehen und Freunde wieder zu treffen. Und wieder zu sprechen und zu lachen, was seine Zeitlang auch nicht möglich gewesen war. Aber es gab auch immer wieder Rückschläge, die Claudia traurig machten, besonders der Umstand, dass es offenbar nicht möglich war, dass ihre Mutter häufiger zu Besuch kommen konnte.

Ende August des letzten Jahres hatten Sie, lieber Matthias und Claudia noch einmal eine schöne, gemeinsame Zeit, in der es Claudia relativ gut ging, und zwar in der Reha, in der Claudia zwar nur abgestellt wurde, aber Sie beide konnten daneben all die schönen Städtchen am Bodensee und auch dort wohnende Freundinnen besuchen. Wieder schön essen gehen, wie früher. Für Sie beide war es eine ganz intensiv erlebte Zeit, eine Zeit, die sie noch näher zusammen brachte, als dies sowieso schon der Fall war. Aber noch in Allensbach kam der dramatische Rückschlag, der damit endete, dass Claudia mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik gebracht werden musste. Seit 1. Dezember war Claudia nun wieder in der Klinik in Berlin. Sie, lieber Matthias, konnten nur deshalb bei Claudia sein, weil Freunde, die in der Nähe Berlins wohnten, Ihnen dies möglich machten. Claudias Großmutter beteiligte sich persönlich mit an der umfangreichen Pflege Claudias, die nun teilweise gelähmt war und immer mehr unfähig wurde zu sprechen und sich mitzuteilen. Nur ihre Augen sagten Danke. Danke für Eure Freundschaft, Danke für Eure Hilfe. Danke für Eure Liebe, Danke für alles. Als nun Anfang Februar der Tod zu ihr kam, da kam er nicht nur als Feind, sondern auch als Freund. Um sie von ihren Leiden zu erlösen.

 

Verehrte Trauergemeinschaft

Nicht alles, was Herz und Geist erfüllt, kann in dieser Stunde des Abschiednehmens gesagt werden. So ist es auch mehr eine innere Zwiesprache mit der Verstorbenen, die ein jeder der sie kannte, nach seiner Nähe und Verbundenheit mit ihr führen möge.

Lassen Sie uns nun einen Moment innehalten, rufen wir uns das Bild von Claudia Kohl in Erinnerung, und lassen wir sie in unseren Herzen sprechen. Und wer dies möchte, kann jetzt je nach seiner Glaubensrichtung ein stilles Gebet für sie sprechen.

 

Musikalische Umrahmung: Enya "Fallen Embers"

Wir wissen, dass wir sterben müssen, wissen um die Vergänglichkeit unseres Seins.

Wir erfahren den Kreislauf der Natur durch die Jahreszeiten - und nicht umsonst sprechen wir vom Herbst des Lebens. Auch die Erde, von der wir leben, wächst und stirbt doch zugleich.

Gebirge werden neu geboren, während andere zu Staub zerfallen, sich in ihre Elemente auflösen und andere Verbindungen eingehen.

Wenn ein Kind geboren wird, sprechen wir vom werdenden Leben - und doch birgt der Keim des Lebens auch das Sterben müssen in sich. Das Sterben durch den natürlichen Ablauf unseres Altern, aber auch das Sterben durch Krankheiten, durch Unfälle und leider immer noch durch Kriege.

Aber ohne dieses Naturgesetz des Sterbens wäre die Entstehung neuen Lebens schlichtweg unmöglich. Erst das Sterben setzt die Voraussetzung für immer neues Leben. Nach diesem Gesetzt, das auch unser eigenes Leben erst möglich gemacht hat, hat jedes Lebewesen, jeder Mensch, jeder Baum, jeder Grashalm seine eigene Zeit, so wie auch jede Materie ihre eigene Vergänglichkeit hat.

Marc Aurel, ein römischer Kaiser und Philosoph, der vor rund 1700 Jahren lebte, beschrieb seine Gedanken zum Leben und Sterben einmal so:

Verachte nicht den Tod. Sieh ihm vielmehr mit Ergebung entgegen, als einem Glied in der Kette der Veränderungen, die dem Willen der Natur entsprechen.

Alles, was du siehst, wird die all waltende Natur bald verwandeln und aus diesem Stoff andere Dinge schaffen und aus deren Stoff wieder andere - damit die Welt immer wieder jung werde.

Der Tod ist wie eine Geburt: Ausbau aus den selben Grundstoffen, Auflösung in die gleichen Elemente.

Jedes Einzelgebilde geht wieder in der Materie des Weltalls auf. Leben und Sterben stehen somit nicht im Widerspruch zu dem, was aus der Denkfähigkeit des Menschen folgt.

 

Verehrte Trauergemeinschaft

Der Mensch ist des Menschen Freude. In diesem altüberlieferten Wort liegt zugleich still beschlossen, dass wir Trauer empfinden, wenn ein Menschenleben erlischt. Je näher uns dies Leben war, je mehr wir diesen Menschen liebten und brauchten, je tiefer uns gemeinsame Erfahrung, gemeinsame Freude verbunden hat, um so schmerzlicher der Verlust, den wir jetzt erfahren, eine auch körperlich fühlbare Wunde, die langsam und manchmal auch nie verheilt.

 

Lieber Matthias
Liebe Angehörige
Liebe Freundinnen und Freunde von Claudia

Sie trauern. Die Trauer ist eine tiefe Empfindung, und auch die Trauer hat ihre ganz eigene Zeit. Das Trauererleben mit all seinen widersprüchlichen Empfindungen ist dabei individuell. Und manchmal erleben wir, dass unsere Umwelt nicht bereit ist, das breit gefächerte Spektrum von Emotionen zu ertragen, das unsere Trauer begleitet. Nicht ausgelebte Trauer macht uns jedoch krank. Und so müssen wir die Trauer für uns annehmen, sie in uns aufnehmen und sie durchleiden.

Aber - wir dürfen auch nicht in der Trauer verharren. Denn wir müssen lernen loszulassen. Im realen Leben, wie auch in unseren Empfindungen und Gefühlen. Schaffen wir dies nicht, kann das Gefühl des Verlustes und der Trauer so stark und übermächtig werden, dass es uns von unseren Mitmenschen isoliert und uns selbst in eine lebensbedrohliche Situation bringt.

So ist  Trauerarbeit auch eine Arbeit an uns selbst. Und sie ist gleichzeitig eine Chance, nach den Grundlagen und dem Sinn unseres eigenen, weiteren Lebens zu forschen. Wir sollten dabei versuchen, das Leben als Geschenk zu sehen, von der schönen Seite her betrachten, auch wenn wir jetzt das Bedrohliche, Schmerzliche und Leidvolle erfahren.

Enttäuschungen, Schmerz, Leid und Trauer erlebt beinahe jeder Mensch. Konzentrieren wir uns aber nur auf diese eine Seite der Wirklichkeit, dann laufen wir Gefahr, uns in unseren Gefühlen zu verlieren, ja, unser Menschsein aufs Spiel zu setzen.

Nein, die Wirklichkeit besteht nicht nur aus dieser einen Seite. Es gilt daher, die andere, die helle Seite des Lebens, neu zu entdecken. Denn der Verlust eines nahen Angehörigen ist nicht das Ende in Verlassenheit und Einsamkeit. Sondern der Anfang einer neuen Lebensform, in der wir all die Erfahrungen unseres bisherigen Lebens mit einfließen lassen können. Die geliebte und geschätzte Verstorbene darf dabei auch immer einen Platz in unseren Herzen haben. Auch dann, lieber Matthias, auch wenn dies gerade heute ganz unvorstellbar erscheint, auch dann, wenn wir uns wieder einer neuen Liebe öffnen sollten. Aber vielleicht gelingt es uns, gerade durch diese leidvolle Erfahrung, diesem, unserem eigenen Leben, noch mehr Qualität zu geben.

Nach allem, was ich über das Leben von Claudia Kohl erfahren durfte, bin ich mir über eines ganz sicher:

Sie hätte nicht gewollt, dass ihr Tod Anlass für Sie sein sollte, sich jetzt nur noch schmerzvollen Erinnerungen hinzugeben, sich dem Leben zu verschließen und sich jeglicher Freude zu versagen.

Denn ihr ganzes Sinnen und Trachten war stets auf das Wohlergehen derer ausgerichtet, mit denen sie einen Abschnitt ihres Lebens teilte.

Hermann Kant, der große Schriftsteller und Philosoph hat einmal formuliert:

Was du für dieses Erdenleben tun sollst, kannst du begreifen, was du für die Ewigkeit tun sollst, nicht; und so kann denn auch keine Gottheit mehr von dir verlangen, als der Erfüllung deiner Bestimmung auf dieser Erde. Schränke dich also ganz auf diese kurze Zeitspanne ein. Kümmere dich nicht um deine Bestimmung nach deinem Tode, weil du darüber leicht deine Bestimmung auf dieser Erde vernachlässigen könntest.

Misst man Claudia Kohls Leben an diesen Worten, so ist sie ihrer Bestimmung auf dieser Erde stets nachgekommen. Mit all dem, was in ihren Kräften stand. Mit all dem, was ihr eigenes Leben ausgemacht hat, mit all ihrer fürsorglichen Liebe und mit all dem, wie sie sich selbst in das Zeitgeschehen und in ihre Verantwortung darin eingebunden hat.

Und so denke ich, hat Claudia Ihnen allen durch ihre eigene Lebensweise auch ein Vermächtnis hinterlassen:

Dem Vermächtnis, dass sie sich dem Leben weiter zuwenden und diesem Leben weiter Sinn, Freude und Erfüllung geben.

Denn dies ist zugleich auch die wahre Botschaft des Todes: Es ist sinnvoll zu leben und vor allem - stets das Beste daraus zu machen.

Doch was bleibt nun von Claudia? Gibt es überhaupt einen Trost für uns als Atheisten, die wir nicht an ein imaginäres Jenseits glauben?

Verehrte Trauergemeinschaft, lassen Sie mich diese Frage mit einem Aphorismus von Kriemhilde Klie-Riedel beantworten:

 

Von uns selbst hängt unsere Unsterblichkeit ab; nicht von der sinnlichen Liebe, die wir erregten, nicht von der Bewunderung, die etwaigen Leistungen gespendet wird, sondern von dem inneren Leben, das unser Hauch anfacht, von dem erwärmenden Feuer, das von uns ausstrahlt. Das Gefühl, in die Seele eines anderen aufgenommen zu sein und in ihr zu wirken, das ist des Lebens höchste Seligkeit.

 

In diesem Sinne ist Claudia Kohl ganz sicher in viele Seelen aufgenommen worden und wird in vielen Seelen auf immer präsent bleiben.

Und mit diesem Gedanken wollen wir nach dem folgenden Musikstück Claudias Urne beisetzen.

 

Musikalische Umrahmung: Nana Mouskouri "Aber die Liebe bleibt"

Rede am Grab:

Verehrte Trauergemeinschaft
Lassen Sie uns nun mit einem Gedicht von Walter Flex Abschied von Claudia Kohl nehmen:

So gebt denn Euren Toten Heimatrecht,
sie möchten gern zu jeder Stunde
in Eure Reihen treten dürfen,
ohne Eure Fröhlichkeit zu stören.
Macht sie nicht zu dunklen Schatten.
Lasst ihnen den Duft der Heiterkeit,
der als Glanz und Schimmer über ihrem Leben lag.

Und die Toten können sagen:
gebt uns Heimatrecht ihr Lebendigen,
dass wir unter Euch wohnen und weilen dürfen,
in dunklen und in hellen Stunden!
Weinet nicht ständig nach,
dass jeder Freund sich scheuen müsste, von uns zu reden.
Macht, dass fröhlich von uns geplaudert wird.
Gebt uns Heimatrecht, wie wir es im Leben genießen durften.

 

 

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